© Michael Kleinburger
Fotos: Michael Kleinburger
Auch eine Reise in die Unendlichkeit beginnt mit einem ersten Schritt. Und dieser führt uns nicht per Anhalter durch die Galaxis, sondern hinauf Richtung Plankogel auf der Sommeralm. Wer die Erde für eine Nacht verlassen und den Zahnrädern des Himmelsgetriebes bei der Arbeit zusehen will, kann im oststeirischen Almenland ganz gut damit beginnen. Kurz gesagt: Wir wollen Sternderl schauen. Ein Experte dafür ist Michael Kleinburger, der gerade Stative, Teleskope und eine Hightech-Fotoausrüstung mitschleppt. Auf dem Berggrat im Nachtschatten des großen Almenland-Windrads reckt er ein Messgerät in die Höhe. Und misst damit den Grad der Dunkelheit nach der sogenannten Bortle-Skala. Wir warten auf das Schwarz der Nacht. Denn nur die Dunkelheit ermöglicht uns die Reise in unendliche Weiten des Weltalls. Während sich letzte Wolkenfetzen hinter dem Schöckl verziehen, tauchen mit fortschreitender Abendstunde immer mehr Sterne und Planeten (Erstere leuchten selbst; Letztere sehen wir, weil sie von der Sonne angestrahlt werden) auf dem Himmelszelt auf.
„Alles, was wir da oben sehen, ist Vergangenheit“, erklärt der 37-jährige Oststeirer, während er gekonnt seine Gerätschaften zur Himmelsbeobachtung justiert. „Das Licht braucht 2,5 Millionen Jahre von der Andromeda-Galaxie bis zur Erde, demnach schauen wir soeben Millionen Jahre zurück.“ Die Faszination Nachthimmel lässt den Naturfotografen Michael Kleinburger nicht mehr los, seit er im Jahr 2015, wie er selbst sagt, ein „lebensveränderndes Erlebnis“ in der Atacama-Wüste Boliviens erfahren durfte: „Weil durch die Höhe, die Dunkelheit und die klare Luft die Milchstraße zum Angreifen nah und beinahe plastisch spürbar war.“ Für seine Projekte nimmt der Vater zweier Kinder („sie nehmen am nächsten Tag keine Rücksicht, wenn ich die Nacht davor im Freien war“) oft hunderte Nachtstunden von Berggipfeln aus den Himmel auf. Alle 20 Sekunden macht die auf den dunklen Nachthimmel über der Steiermark gerichtete Spezialkamera ein Bild. 25 solcher Bilder nacheinander ergeben im Film eine Sekunde. Und plötzlich bewegen sich die Sterne. Knapp vier Minuten lang ist zum Beispiel der imposante Zeitrafferfilm „Noctis Austria“, der nicht nur auf YouTube Zigtausende Male angesehen wurde, sondern es auch in eine „Universum“-Folge geschafft hat. Im Winter will er Teil zwei veröffentlichen. Übrigens: Je länger die Belichtungszeit, desto mehr muss die komplexe Äquatorial-Nachführung zwischen Kleinburgers Stativ und der Kamera ausgleichen – weil sich die Erde in der Zwischenzeit ja weiterdreht.
Und viel Geduld, hohe Investitionsbereitschaft (die Ausrüstung ist teuer!), gepaart mit Kälte-Unempfindlichkeit („ich habe auch einmal eine Nacht bei minus 24 Grad im Zelt verbracht“), macht sich am Ende halt oft bezahlt. Wie beim „Jahrhundert-Schnappschuss“, der Kleinburger im Vorjahr am Hochkar im steirisch-niederösterreichischen Grenzgebiet gelungen ist. Das Bild eines hellen Feuerball-Meteors beeindruckte auch die US-Raumfahrtorganisation NASA. Sie zeichnete Kleinburgers Bild als „Foto des Tages“ aus. Aber warum das Ganze, ist manch einer vielleicht geneigt zu fragen? „Es macht mich einfach unglaublich glücklich, unter diesen magischen Nachthimmeln zu stehen“, so Michael Kleinburger, der mit seiner Arbeit aber auch andere Ziele verfolgt.
Es gehe darum, „die Dynamik am Nachthimmel sichtbar zu machen“ – und natürlich aufzuzeigen, dass die nächtliche Dunkelheit von einer Selbstverständlichkeit zu einem kostbaren Gut geworden ist. Fürs Sternderlschauen müssen Millionen Menschen heutzutage ihre nachts dauerbeleuchteten Städte verlassen. Erst seine über die Jahre gewachsene Passion für die Astrofotografie, die einen dunklen Nachthimmel voraussetzt, habe gezeigt, „wie sehr wir eigentlich schon von Lichtverschmutzung umgeben sind“. An wirklich dunklen Orten könne man mit freiem Auge bis zu 6.000 Sterne sehen, in einer Großstadt wegen der Lichtverschmutzung oft nur ein paar wenige. „Und in Peking sind sie schon froh, wenn sie den Mond erkennen.“ Diese Diskrepanz zwischen überbelichteten Städten und den dunkelsten Flecken der Welt aufzuzeigen, war jüngst auch das Ziel seiner Reise in die USA. Im Vorjahr entstand auf den Kanaren, wo es Kleinburger schon viermal (insgesamt zwei Monate) hingezogen hat, der Film „Canarian Skies“. Auf der Inselgruppe vor Afrika, mitten im Atlantik, gibt es immer noch einen Nachthimmel, der diesen Namen verdient. Am Kontinent jedoch bringen wir zu viel Licht ins Dunkel: Seit Menschengedenken haben die Sterne in jeder Kultur ihren Fixplatz, so Kleinburger. „Wir sind aber die erste Generation, die dabei ist, diese atemberaubenden Einblicke zu verlieren.“ Auf der Sache nach dunklem Nachthimmel verschlägt es den zweifachen Vater zwischendurch noch immer häufig ins Almenland, aber vor allem auch ins obersteirische Gesäuse – nachts wegen der Abwesenheit künstlicher Lichtquellen einer der dunkelsten Flecken Europas.
Nicht zufällig genau hier haben Kleinburger und Mitstreiter kürzlich die „Paten der Nacht Österreich“ gegründet. Eine Initiative, die gegen die Lichtverschmutzung auftritt. „Lichtverschmutzung ist eine der Hauptursachen des globalen Artensterbens“, sagt auch Chronobiologin Stefanie Monecke – man müsse sich nur die Insektenschwärme rund um Straßenlaternen ansehen. Deckenfluter werden zu regelrechten Insekten-Friedhöfen. Im Vergleich zu anderen Formen der Luft- und Umweltverschmutzung gibt es laut Kleinburger bei der Lichtverschmutzung eine sehr einfache Art, gegenzusteuern, und die lautet: Licht aus.