© René Strasser - Text: Ulrich Dunst
Fotos: René Strasser - Text: Ulrich Dunst
Julia, dich als Tochter des bekanntesten Chocolatiers des Landes zu bezeichnen, ist eigentlich eine Beleidigung deiner bisherigen Vita. Welchen Job hast du im Zotter-Universum inne?
Soll ich jetzt sagen: Tochter? (lacht) Wir sind ein Familienunternehmen und ich glaube, mein Bruder und ich sind wohl am längsten im Unternehmen dabei. Weil wir ja als Kinder schon mitgemacht haben.
Die Eltern haben eine Schokoladenfabrik. Für Kinder das Paradies?
Wir haben es supercool gefunden, natürlich. Aus dem alten Kuhstall da oben wurde ein Schokoladen-Theater. Wir haben offiziell eine Tafel Schoko am Tag gegessen und inoffiziell drei. Die zwei, die wir nicht hätten essen dürfen, die waren natürlich die besten.
War dir damals schon klar, dass dich dein Berufsweg einmal auf die Schokoladenseite bringen wird?
Bis ich 15 Jahre alt war, wollte ich Astronautin werden. Aber in unserem Unternehmen unternahmen wir durch die Bio- und Fairtrade-Umstellung schon früh Reisen zu unseren Kakaobauern. Wir haben uns gefragt: Was passiert mit der Umwelt um uns, wie können wir nachhaltiger wirtschaften? Das war für mich schon sehr faszinierend. Wir haben das als Firma immer schon so gelebt: Was uns in den Kopf kommt, das machen wir. Und diese Art von Gestaltungsspielraum hätte ich nirgendwo anders. Natürlich, wenn morgen die NASA anruft und fragt, ob ich zum Mond fliegen will: Ich würde es immer noch machen.
Hörst du im Familienbetrieb auf die Ratschläge der Eltern oder ruft das eher Trotzreaktionen hervor?
Früher war es so: Papa hat die Ideen, Mama hat das Geld. Jetzt sind wir zu viert. Mein Vater und ich sind uns ziemlich ähnlich, wir arbeiten in den meisten Sachen zusammen. Meine Mutter und ich teilen uns das Büro, mein Bruder hat das Unternehmen in eine neue Ära gebracht. Er ist unser IT- und Technik-Chef. Er kümmert sich um all die Dinge, die nichts mit Schokolade zu tun haben, aber laufen müssen. Wir sind kein Familienunternehmen, in dem die alte Generation gehen muss, wenn die nächste kommt. Wenn ich jetzt was ändern will, ändere ich es jetzt.
Lange bevor du in Shanghai das Schoko-Theater eröffnet hast, hast du schon in China gelebt. Was hat dich ins Reich der Mitte geführt?
Ein Austauschschüler-Programm, damals war ich 16. Da habe ich China auf dieser Liste gesehen und habe mir gedacht: Bruce Lee und das Land des großen roten Sterns. Ich habe nicht wirklich was über China gewusst. Es war dann wirklich eine einzigartige Erfahrung.
Auch der Aufbau des Schoko-Theaters in China?
Wir wollten ursprünglich einen Online-Shop aufbauen in China. Dann haben wir uns Shop- und Verkostungskonzepte überlegt und wie wir halt so sind, ist das immer größer geworden. Damals haben wir uns gedacht, in einem Jahr ist alles fertig. Im Endeffekt war ich sechs Jahre lang drüben.
Du hast einmal gesagt, der coolste Moment sei jener, wenn du eine verrückte Idee für eine neue Schokolade in den Raum wirfst und die Frage zurückkommt: Wer soll denn das essen?
Wir haben jedes Jahr 100 neue Rezeptideen auf der Liste, die könnten wir nie alle auf einmal einführen. Deshalb überlegen wir, was würde heuer ins Sortiment passen, bekommen wir die Zutaten dafür? Dann probieren wir und entscheiden, was kommt rein und was fliegt raus aus dem Sortiment. Die Idee zu meiner Lieblingsschokolade, Algen-Karamell, war eine von denen, wo viele von uns gesagt haben, wer soll das essen?
Es ist noch keine Schokolade „gestorben“, weil sie so grauslich war, sondern weil sich Kunden nicht drübergetraut haben.
Wie bekommt man den richtigen Riecher für den Erfolg und dafür, was die Menschen essen wollen?
Wir machen es eher so, dass wir das machen, was wir mögen. Wenn die Schokolade gut schmeckt, dann machen wir es halt einfach. Aber es kann auch sein, dass es nach zwei Jahren aus ist, weil es einfach nicht so gut war.
Das landet dann hier auf dem Friedhof der begrabenen Ideen ...
... aber es ist noch keine Schokolade „gestorben“, weil sie so grauslich war, sondern weil sich Kunden nicht drübergetraut haben. Deshalb fragen wir unsere Kunden nicht, welche neuen Sorten sie wollen. Sie wissen es nicht, haben oft keine Ahnung, was sie mögen und was nicht. Erst durch das Probieren finden sie häufig ihre Lieblingssorten.
So wie bei der Grammel-Schokolade?
Die „GrammelNussn“ war unsere erste richtig arge Schokolade, die um 2001 schon entstanden ist. Sie ist noch immer im Sortiment. Viele meinten: Schokolade mit Grammeln, also erhitztem Schweinefett, das kann man nicht essen. In Österreich wollte sie keiner kaufen. Nur in Süddeutschland ging sie weg wie die warmen Semmeln. Und wir fragten uns, warum? Bis wir draufgekommen sind, dass die deutschen Kunden einfach nicht wussten, was Grammeln sind. Sie glaubten, es seien Nüsse. So haben wir gelernt, dass die Sorte geschmacklich kein Problem hat, sondern bloß vorurteilsbehaftet ist. Das war der Anstoß für die Idee, dass wir eine Verkostung brauchen – und darauf haben wir das Running Chocolate und das Schokoladen-Theater entwickelt.
Also ist die Grammel-Schoko die Ursache für all das, was hier aufgebaut wurde?
Ja, eine Schokolade, die auf diesem Friedhof hätte landen können, war einer der Funken, durch den wir gelernt haben: Die Kunden wissen nicht, was sie mögen, und dass wir alles besser präsentieren müssen. Allein wenn du nur den Namen änderst, mögen sie die Schokolade plötzlich.
Du hast einmal gesagt: Man darf nicht vergessen zu träumen. Muss man als Unternehmerin auch ein bisschen Träumerin sein?
Man muss ein bisschen naiv sein. Oder Träumerin, sonst traust du dich ja nie, neue Dinge zu machen. Sonst machst du ja immer das Gleiche. Auch als Team kommst du nur weiter, wenn der Großteil dieser Vision folgt und den Job gern macht.
Du hast in einer Rede auch einmal gemeint, man müsse die Misserfolge feiern, nur sie bringen einen weiter. Dein beruflicher Weg ist aber nicht wirklich geprägt vom Scheitern ...
Doch, wir sind ja als ganze Familie immer ein Unternehmen gewesen. Unser größter Misserfolg, der auch gleichzeitig der Startschuss war, war der Konditorei-Konkurs meines Vaters ganz am Anfang. Jeder Misserfolg nimmt einem ein bisschen den Stolz und den Glauben in die eigene Unverwundbarkeit oder das eigene Allwissen.
Ihr habt kürzlich im Essbaren Tiergarten das „ÖKO Speck Takel“ eröffnet. Welches Spektrum und welches Speck-Trumm umfasst das?
Wir haben unsere komplette Fleischverarbeitung hier. Geschlachtet werden die Rinder auf der Weide. Für die Schweine, Ziegen und Schafe haben wir einen kleinen Schlachtraum in Auersbach. Für unsere Tiere ist das eine sehr private Angelegenheit, wenn es dann zum Sterben geht.
Was ist dann das Ziel des Ganzen?
Wir wollen unseren Besuchern bewusster machen, dass das süße Tier da draußen, das ein Sozialleben hat, tot sein muss, damit wir es essen können. Und deswegen sollten wir uns eher weniger davon gönnen, dann aber mit hochwertigerem Fleisch, wo das Tier ein gutes Leben hatte. Wir wollen niemandem ein schlechtes Gewissen machen. Ich habe kein Problem mit Leuten, die sagen: Ich weiß, wie die Bedingungen der Fleischindustrie sind, ich esse es trotzdem. Aber ich mag nicht, wenn Leute sagen: Das süße Schwein da könnte ich nie essen – und sich dann umdrehen und im Supermarkt das Schweinefleisch kaufen, weil es gerade in Aktion ist.