Lautes Licht ins Dunkel

Sie leuchten und läuten. Der 5. Jänner ist ihr großer Tag. In der letzten Raunacht laufen 200 Stainacher Glöckler mit bis zu 30 kg schweren, bunten Lichterkappen und schweren Glocken durchs Dorf. Und halten damit ein einzigartiges Brauchtum hoch.

Lautes Licht ins Dunkel

Sie leuchten und läuten. Der 5. Jänner ist ihr großer Tag. In der letzten Raunacht laufen 200 Stainacher Glöckler mit bis zu 30 kg schweren, bunten Lichterkappen und schweren Glocken durchs Dorf. Und halten damit ein einzigartiges Brauchtum hoch.

"C-Dur.“ Johann Pötsch deutet wissend mit dem Zeigefinger auf die mächtigen, in C-Dur gestimmten Schellen, die an seinem nicht minder massiven braunen Ledergurt hängen. Neben ihm hüllen sich drei weitere heitere wie geheimnisvolle Gefährten in blütenweiße, frisch gewaschene Roben. Weißer Riese lässt grüßen. Nur der Grimming zeigt mit seinem grimmig-felsigen Antlitz in der Dämmerung, wer hier im Ennstal der wahre Riese ist.  Mit jeder Minute, in der das Dunkel der Nacht Oberhand gegen das letzte Licht des Tages gewinnt, heben sich die Männer in Weiß besser von ihrer Umgebung ab.

Zeit für Helmut Maierhofer, die an diesem Abend alles entscheidende Frage zu stellen: „Hot wer a Feuerzeug dabei?“

Mit der Routine von 50 Jahren Brauchtumspflege hat Johann Pötsch natürlich auch daran gedacht und öffnet die Seitentüren der bis zu zwei Meter großen Kappen im Sternformat, um sogleich die Dutzenden Kerzen im Inneren der Kappen zum Leuchten zu bringen. Die bis zu 30 kg schweren, aus Holz und Seidenpapier hergestellten Kappen mit kunstvollen Verzierungen werden die Männer gleich auf ihrem Kopf tragen und damit für einen mystischen ­wie  erhellenden Moment sorgen.

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Himmlische Stimmung, höllische Lautstärke

Für den Besuch von 5komma5sinne hat eine Handvoll der „Stainacher Glöckler“ eine Ausnahme gemacht und ist mit den kostbaren Einzelstücken ins „Kripperl der Steiermark“ nach Pürgg gekommen, um vor der pittoresken mittelalterlichen Johanneskapelle Aufstellung zu nehmen.  Leuchtend und läutend ziehen sie als sogenannte Schönperchten, die böse Geister vertreiben und Licht in die dunkle Jahreszeit bringen sollen, umher.

Während die vier Gestalten mit ihren Kappen, Kuhglocken und Schellen an diesem Abend bereits ordentlich Eindruck schinden und neugierige Urlauberblicke auf sich ziehen, erzeugt eine Vielzahl von ihnen jedes Jahr am 5. Jänner bei himmlischer Stimmung höllischen Lärm.

Denn in der letzten Raunacht der Weihnachtszeit, am Abend vor dem Dreikönigstag, wird im Ennstal ganz Stainach zur Bühne. Der traditionelle „Stainacher Glöcklerlauf“ zieht jedes Jahr am 5. Jänner Tausende Zuschauer (und Zuhörer) an. Dann ziehen nämlich nicht vier Gestalten, sondern 180 bis 200 Glöcklerinnen und Glöckler zwischen 5 und 80 Jahren durch die Gassen. Sie laufen in Gruppen, den sogenannten Passen, denen jeweils ein Vorläufer mit Laterne und Stab den Weg bereitet. „Wir haben insgesamt zwölf Erwachsenen-Passen mit je 12 bis 14 Leuten und fünf Kinderpassen mit jeweils rund fünf Kindern“, erklärt Helmut Maierhofer, der nicht nur bei unserem Besuch als Vorläufer, sondern seit rund zwei Jahr­zehnten als Obmann der Stainacher Glöckler aktiv ist.

Jede Pass trägt auf ihren Kappen ein eigenes Thema – die Bandbreite reicht von Zunft­zeichen und österreichischen Wahrzeichen über kirchliche Symbole bis hin zu Sternbildern und Tierkreiszeichen. Kinderkappen sind mit 3 kg entsprechend leichter und werden durch LED-Leuchten erhellt. Sicher ist sicher.

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Jeder ist stolz, Teil des Ganzen zu sein

„Für uns ist der Glöcklerlauf eindeutig ein wichtiger Höhepunkt im Jahr“, erzählt Walter Zwanzleitner, eine Kappe mit einem Schütze-Zeichen am Kopf balancierend. Denn die Glöckler selbst seien oftmals gebürtige Stainacher, die nunmehr in ganz Österreich leben, aber für diesen besonderen Tag zurückkommen. Für sie ist es nicht nur Brauchtum, sondern ein Stück Heimat. „Die einzelnen Passen treffen sich bereits am Nachmittag“, sagt Helmut Maierhofer, sie ziehen bei Einbruch der Dunkelheit von Haus zu Haus, ehe sie zum Höhepunkt um 19.30 Uhr allesamt im Ortszentrum von Stainach zusammentreffen – laut und leuchtend.

Jeder Glöckler ist stolz, Teil eines großen Ganzen zu sein, bestätigen bei unserem Besuch die vier Männer. Doch Teil dieses Brauchtums zu werden, ist gar nicht so einfach, wie Helmut Maierhofer einräumt: „Eigentlich können neue nur nachrücken, wenn andere ausfallen. Aber solange sie laufen können, laufen die meisten.“ Für die Erwachsenen-Passen gebe es jedenfalls eine lange Warteliste.

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Erbe und Weltkulturerbe

Eine Möglichkeit gebe es jedoch: „Wenn sich eine komplett neue Pass mit 12 Leuten findet, die 12 neue eigene Kappen bauen, dann sind sie dabei“, so Maierhofer. „Doch das ist wirklich aufwendig, oft sind die Kappen jahrzehntealte Erbstücke“, gibt Harald „Hari“ Griesser zu bedenken, dessen Söhne schon eine Zeit lang auf einen „freien Startplatz“ in einer Erwachsenen-Pass spitzen. Glöckler-Urgestein Johann Pötsch, der seit rund 50 Jahren mittendrin statt nur dabei ist, hat seine Kappe einst von einem Verwandten vererbt bekommen. Seine neue, mächtige Kappe mit dem Bethlehem-Stern hat der Pensionist in mühevoller, wochenlanger Arbeit selbst gebaut. „Auch für die Enkerln habe ich schon welche gebaut.“

Entstanden ist dieses einzigartige alpenländische Brauchtum übrigens Anfang des 19. Jahrhunderts durch Salinenarbeiter im Salzkammergut: in Ebensee am Traunsee. Doch nach Einschätzung von Historikern war der Grund gar kein erfreulicher: Durch den Bau der Eisenbahn ins Salzkammergut konnten die Sudpfannen in den Salinen plötzlich mit importierter Kohle statt mit Holz aus der Umgebung befeuert werden. Viele Salinenarbeiter wurden arbeitslos und sollen bettelnd (in ihren weißen Gewändern) umhergezogen sein. Weil sie den Menschen für ihr Geld aber etwas bieten wollten, sollen sie aus Verpackungen der Salzindustrie die ersten Kappen gebaut und mit Kerzen beleuchtet haben. Um von weithin hörbar zu sein, banden sie sich Kuhglocken um. 2010 wurde der Glöcklerlauf von Ebensee sogar von der UNESCO als „immaterielles Weltkulturerbe“ geadelt.

Archivbild: Seit 1930 gibt es am 5. Jänner den Glöcklerlauf in Steinach (Foto: Glöcklerverein Steinach)
"Gut behütet" - Uli von 5komma5sinne versucht die 20 Kilo schwere Kappe am Kopf zu balancieren

Brauchtum wandert ins Ennstal

Durch einen gebürtigen Ebenseer, den Schul­direktor und Obmann des Alpenvereins Stainach, Franz Zehetleitner, wanderte das Brauchtum ab 1930 schließlich ins Ennstal weiter. „Und seither fand der Glöcklerlauf jedes Jahr, mit Ausnahme der Kriegsjahre und zweimal wegen der Coronapandemie, statt“, erzählt Obmann Maierhofer. Von Sturm oder Schnee und anderen Wetterkapriolen ließen sich die Stainacher Glöckler niemals abhalten, wie die vier stolz betonen: „Wir sind bei minus 20 Grad marschiert, wir sind bei plus 18 Grad gelaufen, wir sind bei Stürmen marschiert, dass es uns zum Teil sogar die Kappen vom Kopf geweht hat. Aber wir lassen uns nicht aufhalten.“

Dem Bundespräsidenten ist ein Licht aufgegangen

Natürlich birgt Extremwetter in Kombination mit dem einen oder anderen an diesem Tag konsumierten Hopfengetränk auch Stoff für reichlich Anekdoten: „Im Matsch hat schon so mancher einen Kniefall gemacht“, lachen die Männer wissend, aber nicht mehr verratend. „Und mir ist einmal als Jugendlicher die weiße Hose runtergerrutscht – aber ich konnte sie nicht wieder hochziehen, weil ich ja mit beiden Händen die Kappe tragen musste“, schwelgt Hari Griesser in Erinnerungen.

Gern wird unter Glöcklern auch die Geschichte erzählt, als man seinerzeit unter Bundespräsident Rudolf Kirchschläger in die Hofburg geladen war und mit den Kappen beinahe einen Riss in die berühmte rote Teppichwand gemacht hätte. Aber zum Glück sei nichts passiert. Und wer außer den Stainacher Glöcklern kann schon von sich behaupten, dass dem obersten Mann in Staate durch sie ein Licht aufgegangen ist?