© Martin Huber / Interview: Klaus Höfler
Fotos: Martin Huber / Interview: Klaus Höfler
In Zeiten, die wackelig sind und wo Angst, Ärger und Unsicherheit vorherrschen: Sollten wir mehr in uns hineinhören?
Wenn ich meine Coachings mache, geht es am Anfang immer um die Frage: Wenn du in deinen Körper hineinhorchst, was meldet er in diesem Augenblick zurück? Bei der Antwort weichen aber ganz viele aus und erzählen von den Mühen der letzten Tage oder der kommenden Woche. Sie sind also im Kopf im Gestern oder Morgen, aber nicht im Heute. Nicht im konkreten Moment. Dann frage ich, wie es dem Herzen – als Repräsentanten der Gefühle und Emotionen – und dem Verstand geht. Zunächst kommen auch da ausweichende Antworten und erst später die Erkenntnis: In dem Moment, in dem man sich in die Präsenz hineinbewegt, passt es eh und man hat nicht mehr das Gefühl, dass einem das Leben um die Ohren fliegt.
Warum dann diese Flucht aus dem Jetzt?
Es ist eine Frage des Vertrauens. Das ist immer in der Präsenz zu Hause. Wenn wir mit unseren Gedanken aber in der Vergangenheit feststecken oder voraus sind, wird es „happig“. Dann ärgern wir uns nur über das, was war, und fürchten uns vor der Zukunft. Die Frage ist also, ob wir uns noch ausreichend oder überhaupt die Zeit nehmen für das Jetzt.
Warum gibt es diese Rastlosigkeit? Woher kommt sie?
Es herrscht ein Gefühl vor, dass die Tage, Wochen und Jahre verfliegen. Aber die Zeit läuft nicht schneller als früher, wir haben sie nur vollgestopft mit Ablenkungen und Nebengeräuschen. Umso wichtiger ist es, sich darüber bewusst zu sein, dass wir jeden einzelnen Tag nur einmal haben und es daher wert und wichtig ist, ihm über das Bewusstsein eine Qualität einzuhauchen. Sich zu fragen, wofür man dankbar ist, welche Handlung oder Begegnung heute den Tag zu meinem Tag gemacht hat. Plötzlich bekommt der Tag wieder eine Bedeutung. Und über diese Haltung kann es gelingen, dass man sagt: Okay, der Tag hat immer noch nur 24 Stunden, aber ich habe zumindest das Gefühl, dass ich dabei war.
André Heller hat einmal gesagt, man dürfe das Leben nicht schwänzen.
Das trifft es ganz gut.
Also aus dem Banalen das Besondere herausdestillieren?
Ja. Daher will ich dazu ermutigen und einladen, das Leben zu feiern. Nichts aufzuschieben und achtsamer zu werden. Ein guter Messpunkt ist, wenn ich sagen kann: „Ja, ich liebe meinen Alltag mit allem, was dazugehört.“
Auch wenn es schattig wird?
Auch dann.
Was hindert uns daran? Ist es die Gier, immer mehr haben zu wollen? Gibt es zu viele Stress-Impulse?
Wir haben schon eine gewisse Getriebenheit – und ich weiß auch nicht, warum man glaubt, dass man immer mit allem mitmuss. Man sollte sich öfter und ehrlich fragen, ob man mit seinem Lebensstil zufrieden ist. Ob das, was man tut, tatsächlich das ist, was man tun will, oder ob man der Veränderung nicht doch eine Chance geben soll – aber keiner Pseudoveränderung. Ich bin da recht konsequent geworden und mache nichts mehr, nur damit es vorbeigeht und ich den Tag irgendwie überlebe. Ich will ihn erleben. Natürlich kann das unbequem sein, weil man sich in ein Risiko begibt. Es war auch für mich nicht bequem, meinem Vater mit 13 Jahren zu sagen, dass ich seinen Betrieb nicht übernehmen werde, sondern Nordischer Kombinierer werde – was ja bis heute kein Beruf ist. Es war nicht bequem, aber notwendig, weil ich mir selbst treu geblieben bin. Aber viele wissen heute gar nicht mehr, was das ist.
Sind wir als Gesellschaft zu ängstlich?
Das würde ich nicht sagen. Angst hat ja nur eine Chance, weil das Vertrauen zu kurz kommt. Die Frage ist also, wie es um das Vertrauen steht und wie wir wieder in das Vertrauen kommen. Wie gut kümmern wir uns um uns selbst, damit wir wieder Vertrauen in uns selbst herstellen?
Ist die Distanz zu einem selbst schon zu groß geworden?
Natürlich ist die Distanz oft zu groß, aber dennoch ist man gleichzeitig immer nur einen Schritt davon entfernt, wieder zu sich selbst zu finden. Darum ist es nie zu spät, damit zu beginnen. Es ist auch nie zu spät, mit Bewegung zu beginnen. Es ist nie zu spät, zu entscheiden, welche Gedanken ich denken möchte. Das kann man leicht an sich selbst testen.
Wie?
Glaubst du, dass deine eigenen Gedanken Auswirkungen auf dein Handeln haben?
Sehr wahrscheinlich ist das so.
Und: Wie viel Zeit hast du dir heute schon für die Ausgestaltung deiner Gedanken genommen?
Erwischt.
Der gemütlichste Weg ist es, sich selbst keine Gedanken zu machen, sondern über die Politik zu jammern, auf Vorschriften und Verordnungen oder darauf zu warten, dass jemand anderer uns sagt, was zu tun ist, und zum Arzt zu gehen und ihn für die eigene Gesundheit verantwortlich zu machen und sich selbst nicht zu bewegen. Aber Bewegung ist Leben.
Sind wir als Gesellschaft zu bewegungslos?
Die Gesellschaft – das ist so etwas Großes. Da fühlt man sich immer so ohnmächtig. Wer ist die Gesellschaft? Am Ende des Tages sind wir es selbst. Ich bin daher vorsichtig mit dem Wort „die Gesellschaft“ wie auch mit „man“. Weil das sind wir alle und damit wird es schnell zur Ausrede, warum „man“ als Einzelner nichts macht. Mein Zugang ist, dass – wenn du etwas oder dich verändern möchtest – du zunächst und ausschließlich bei dir selbst anfangen musst. Du musst Körper, Herz und Verstand wieder als Ganzes begreifen, weil es ja zusammengehört. Es braucht das Bewusstsein, dass wir ein Gesamtkunstwerk sind. Wenn es gelingt, dass diese Teile in uns füreinander da sind, dann kann man auch im Außen leicht füreinander da sein.
Warum schaffen wir das nicht oder nur selten? Was fehlt?
Es braucht Mut, sein Leben eigenverantwortlich für sich zu gestalten, um auch für andere einen Beitrag leisten zu können. Nur ist uns die Eigenverantwortung schon ein Stück weit aberzogen worden, aber sie kann eine Renaissance erleben, weil man ja merkt: Wenn ich es nicht selbst mache, tut es auch kein anderer für mich. Also: Verantwortung für sich selbst übernehmen – und mit der Bewegung beginnen! Worauf warten wir da noch? Wie dramatisch müssen die Verhältnisse noch werden? Braucht der Durchschnittsösterreicher noch einmal drei Kilo mehr Übergewicht? Brauchen wir noch mehr psychische Erkrankungen?
Offenbar reicht es noch nicht – sonst würde sich etwas ändern.
Wir werden als Gesellschaft ungenießbar, wenn wir uns der Bewegung nicht wirklich annehmen. Wir wollen das Klima retten – vergessen aber, dass wir auch ein Klima in uns haben. Wenn es da eine Klimakatastrophe in uns gibt, wie wollen wir dann draußen einen Beitrag leisten?
Wie äußert sich das? Sind wir eher unterkühlt und vereist oder überhitzt?
Wir sind ignorant gegenüber uns selbst, zum Teil sind wir sogar uns selbst sabotierend unterwegs – und das repräsentiert sich auch im Außen. Gerade in einer Zeit, die einerseits von Unsicherheit, Zweifel und Ängsten und andererseits von Hoffnung, Zuversicht und Erneuerung geprägt ist, geht es mehr denn je darum, Menschen zu ermutigen, ganz genau hinzuschauen und hinzuhören. Es geht darum, sich die richtigen Fragen zu stellen und die entsprechenden Antworten zu leben.
Gibt es etwas, was du mit der Erfahrung von heute dem jungen Felix von damals raten würdest?
Natürlich. Bei mir war der Sport sehr lehrreich, weil ich als junger Athlet einen Bewegungsdrang hatte, aber nicht wusste, wo und wie ich meine Energie loswerden kann. Bis ich in meiner Sportart fündig geworden bin. Dann habe ich trainiert wie in Irrer, aber kein Gefühl gehabt für Erholung, für eine vernünftige Dosis von Belastung, für Trainingsintensität und -umfang. Da hat der Körper dann natürlich rebelliert. Über bestimmte Trainer sind wir dann mit Achtsamkeit in Berührung gekommen, zu einer Zeit, in der „Mindfulness“ noch kein Trendwort war. So haben wir gelernt, wie man Präsenz üben kann. Da stand nicht der sportliche Erfolg als Ziel im Raum, sondern nur das eigene Wohlbefinden.
Aber es braucht anscheinend immer den Impuls von außen. Den Mentor zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Da spielt auch Zufall eine Rolle.
Ja, ich meine aber, dass der Alltag bummvoll ist mit Zufällen. Sie liegen am Wegesrand – aber wir latschen so unachtsam vorbei, dass wir sie nicht erkennen und aufklauben. Ab dem Moment, wo man hellwach durch den Tag marschiert, bekommt man diese Zufälle alle mit und weiß auch, wo man wann zugreifen kann und soll.
Wie finde ich das Richtige oder woher weiß ich, dass etwas in diesem Moment das Falsche ist und ich es lieber liegenlasse?
Die Selbstbefragung, aus welcher Energie heraus man Entscheidungen trifft, liefert da ganz interessante Antworten. Wenn man in einem schlechten Zustand wichtige Entscheidungen trifft, ist es ein Blödsinn und es wird auch ziemlich sicher Blödsinn herauskommen. Diese Erfahrung darf einem aber nicht abgenommen werden. Auch wenn es schmerzhaft ist, Zeit und Kraft braucht und ein Umweg ist – im großen Bild bringt es einen weiter, weil die Eigenverantwortung getriggert wird. Da passt es auch, wenn man einmal etwas liegen oder auslässt, weil man sich selbst treu geblieben ist.