Durch die dunklen Gassen von Graz

Geheimnisvolles im gedämpften Schein einer Laterne: Bei der Nachtwächter-Führung durch Graz erlebt man eine Zeitreise ins Leben der mittelalterlichen Stadtbewohner.

Durch die dunklen Gassen von Graz

Geheimnisvolles im gedämpften Schein einer Laterne: Bei der Nachtwächter-Führung durch Graz erlebt man eine Zeitreise ins Leben der mittelalterlichen Stadtbewohner.

Er ist schon eine eindrucksvolle Erscheinung, der Albin Sampel, wenn er in der einsetzenden Dunkelheit vor der Grazer Burg auf uns wartet. Er trägt eine braune, weite Kutte samt ausladendem Hut, in der Rechten eine Hellebarde – eine alte Landsknecht-Waffe – in der Linken die obligate Kerzenlicht-Laterne. So waren die Nachtwächter im Mittelalter nämlich ausgerüstet. Ab dem 13. Jahrhundert sorgten sie des Nachts für Ordnung und Sicherheit in den jungen mittelalterlichen Städten. Und in genau diese Zeit entführt der „Kulturfuchs“ Albin Sampel die Teilnehmer bei seiner Nachtwächterführung durch die Grazer Innenstadt. Beliebt war er aber trotzdem nicht der Nachtwächter. Es war ein „unehrenhafter Beruf“ und er wurde im gleichen Atemzug wie der örtliche Totengräber und der Henker genannt, weil es in der damaligen Zeit nicht mit rechten Dingen zugehen konnte, wenn jemand tagtäglich nächtliche Aufenthalte im Freien schadlos überstand.

EINE UNHEIMLICHE AUFGABE
„In der gesellschaftlichen Hierarchie stand der Nachtwächter trotz seiner wichtigen Aufgaben weit unten, knapp überm Henker oder dem Totengräber. Nachtwächter und somit im Dunkeln unterwegs zu sein, war einfach unheimlich“, erzählt Albin. Denn das tiefe Schwarz der Nacht, Straßenbeleuchtung gab es ja keine, stoppte im Mittelalter jedes lebendige Treiben. Wer da noch auf der Straße war, hatte oft nichts Gutes im Sinn. Der Nachtwächter warnte die schlafenden Bürger vor Feuern, Feinden und Dieben. Er hatte das Recht, verdächtige Personen, die nachts unterwegs waren, anzuhalten, zu befragen, sie notfalls festzunehmen. Lange Zeit gehörte es auch dazu, die Stunden anzusagen, womit er zugleich Kund tat, dass er seinem Dienst ordnungsgemäß nachging. Sein Werkzeug dafür war das Horn

VON DUNKLEN ZEITEN IN GRAZ
Kulturellen Wert hat der Nachtwächter von Graz heute aber umso mehr: eine Stadtführung mit ihm ist nicht nur das Abarbeiten historischer Daten, es ist ein Erlebnis für Groß und Klein und öffnet Tore und Türen, die uns bei einem gewöhnlichen Spaziergang durch die Landeshauptstadt verschlossen bleiben. Genau so verhält es sich auch mit den Informationen über die Stadt, zu denen man während einer Nachtwächterführung kommt. So war es für uns ziemlich überraschend und neu, dass wir uns am Platz vor dem Grazer Dom nicht nur mitten in der Grazer Innenstadt, sondern auch auf einem mittelalterlichen Friedhof befinden. Erst als die Pest in Graz wütete und die Keime der Leichen über das Grundwasser andere Stadtbewohner infizierte, entschloss man sich, aus hygienischen Gründen diese letzte Ruhestätte an den Standrand zu verlegen. Grabsteine von damals findet man heute direkt in die Dom-Mauern eingearbeitet.

WAHRE BEGEBENHEITEN & GRUSELIGE SAGENGESCHICHTEN
Nachtwächter Albin klärt beim zweistündigen Rundgang aber auch darüber auf, wo denn die Grazer Blutgasse sei – man kann sie mit ihm sogar betreten - und erzählt, wie die Grazer anno dazumal mit vermeintlichen Hexen umgegangen sind. Wir erfahren, was es mit den Zwischenräumen zwischen den einzelnen Häusern auf sich hat und immer wieder fordert Albin Sampel uns auf, die Augen kurz zu schließen, genau zuzuhören und uns gedanklich sechs, sieben Jahrhunderte zurückzuversetzen. In einem dunklen, versteckten Innenhof nahe dem Glockenspielplatz wird uns dabei ganz mulmig zumute. Die Geschichten von Folter und Strafen tragen ihriges dazu bei. Gespannt lauschend sind wir inzwischen bei der Alten Universität angelangt.

DURCH DIE GESCHICHTSTRÄCHTIGEN GASSEN VON GRAZ
Die Nacht hat sich über Graz gelegt, aber die starken alten Mauern sind hell erleuchtet und werden zu einer imposanten Kulisse für unseren Rundgang. Und von so mancher wahren Begebenheit aus der neueren Grazer Historie und von so mancher gruseligen Sagengeschichte, wird uns Nachtwächter Albin Sampel im Laufe der Führung noch berichten. Eine neue Sichtweise auf Graz hat sich uns eröffnet. Spannend, leicht gruselig und romantisch zugleich.

An diesem Tag fand in Graz ein „Nachtwächter-Treffen“ statt, weshalb wir die Ehre hatten, den Nachtwächter der deutschen Kreisstadt Lübben auch dabei zu haben (rechts im Bild).

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