Mit Ski-Star Julia Scheib auf dem Berg, wo für sie alles begann

Nicht erst seit ihrem ersten Weltcup-Sieg in Sölden am 25. Oktober 2025 gehört Julia Scheib zu den „heißen Aktien“ im österreichischen Skiteam. Aber was macht ein Skistar außerhalb der Skisaison? Klaus Höfler hat die überzeugte Weststeirerin für ein 5komma5sinne-Interview auf der Weinebene getroffen, wo sie als Kind erste Schwünge auf Skiern perfektionierte.

Die Weinebene ist zunächst eine Lüge. Wein wächst hier auf 1.668 Meter Seehöhe weit und breit keiner. Und eben ist es auch nicht. Vielmehr breitet sich ein welliger Almteppich aus, auf dem seit der Wintersaison 1973/74 ein kleines Skigebiet mit sieben Liften und 18 Kilometer Piste existiert. Julia Scheib kennt sie alle. Es ist das Heimrevier der Weststeirerin. Sachkundig deutet ihr ausgestreckter Arm über die Horizontkante und benennt die aneinandergereihten Berg- und Hügelnamen, die einen hier einrahmen. Teile davon liegen in der Steiermark, andere in Kärnten. Die Landesgrenze verläuft direkt über den Parkplatz auf der Passhöhe. Hier und auf der nahen Hebalm hat Scheib im Alter von zweieinhalb Jahren Skifahren gelernt und schnell rennmäßig perfektioniert. Hier spaziert die 27-Jährige an diesem kühlen Sommertag über den schottrigen Almweg und erinnert sich, unter anderem an den ersten Rennsieg im zarten Alter von vier Jahren.

Welche Erinnerungen gibt es an die frühen Tage?

Julia Scheib: Ich habe es von Anfang an gehasst, zu verlieren. Das hat mich immer angetrieben.

Musste immer gelten: „Wo ich bin, ist vorne“?

Ja, schon. Egal welches Rennen – ich wollte gewinnen, und wenn es nicht so war, ist für mich die Welt untergegangen. Jetzt sehe ich das ein bisschen differenzierter. Das ist das Ergebnis von Erfahrungen. Auch wenn es das grundsätzliche Ziel bleibt, Rennen zu gewinnen.

Was ist wichtiger: eine WM- oder Olympiamedaille?

Olympia. Die Spiele sind nur alle vier Jahre. Olympiasiegerin klingt schon ganz gut.

Bittere Zwangspausen

Das Langfristziel steht damit. Es wäre der Höhepunkt einer schnellen, aber nicht immer glatt präparierten Laufbahn. Aus den Nachwuchskadern kommend, schafft es Scheib zwar schon nach den ersten FIS-Rennen, sich für den Europacup zu qualifizieren. Und schon in der ersten Europacupsaison steigt sie in den Weltcup auf. Dazu kommen ein Juniorenweltmeistertitel im Riesenslalom sowie eine Junioren-WM-„Silberne“ im Super-G. Der Weg der für den Atus Schiclub Frauental startenden „stolzen Weststeirerin“ (Scheib) ist aber auch von Verletzungspech gekennzeichnet. Kreuzband, Meniskus: Die im Skisport hochfrequenten Kniedemolierungen muss Scheib gleich zwei Mal in ihr Karriere-Tagebuch notieren. Dazu kommt noch eine Infektion mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber, die eine längere Pause erzwingt.

Wie lange braucht es, bis man nach einer Verletzung endgültig wieder Vertrauen in seinen Körper hat?

Je nach Verletzung und Heilungsverlauf. Bei mir hat es nach einer Verletzung eineinhalb Jahre gedauert, bis ich wieder am Schnee war, und es hat danach noch einmal so lange gebraucht, bis ich gemerkt habe: Jetzt sind die letzten Reste von Zweifel weg. Davor hat es immer eine Blockade gegeben, wo mir bewusst war, dass ich sie annehmen muss und dass sie irgendwann weg sein wird. Und dieses Aha-Erlebnis kommt!

Sölden als doppelt guter Boden

Scheib schafft diesen Befreiungsschlag und kämpft sich zurück in die Weltspitze – in einer Disziplin, die zwischen der rasanten Abfahrt und dem artistischen Slalom etwas im Schatten steht. Zu Unrecht. Denn was Athletik, Technik und Tempo angeht, wird der Riesenslalom oft unterschätzt. „Bei der Steilhangausfahrt in Sölden habe ich 85 km/h draufgehabt“, sagt Scheib.

Sölden also. Hier schafft sie zum Auftakt der letzten Saison mit dem dritten Platz ihr erstes Weltcup-Podium. Und zum Start in den Skiwinter 2025/26 sensationell ihren ersten Weltcup-Sieg.Man hat gesehen, was drinnen ist, wenn man fightet und immer daran glaubt“, erinnert sie sich an ihr erstes Podium. Dieses Vertrauen ins eigene Können entstehen zu lassen, Konstanz aufzubauen und bei den Rennen abzurufen, ist ein Fulltimejob und im Winter bei ausreichend Sendezeit und in Superzeitlupe umfassend dokumentiert. Aber was macht eine Skifahrerin eigentlich im Sommer?

Kann man sich Julia Scheib auch faulenzend am Strand liegend vorstellen?

Durchaus. Mich fängt es nicht zu reißen an, wenn ich drei Tage nichts tue. Aber wenn relaxen, dann zu hundert Prozent. Das funktioniert auch beim Kochen. Das ist wie eine Art Meditation für mich.

Woher kommt diese Begeisterung fürs Kochen?

Weil ich auch sehr gerne esse. Wenn man weiß, welche Zutaten drin- und wie viel Arbeit dahintersteckt und es dann auch noch sensationell schmeckt, dann passt das gut. Vor allem im Freundeskreis. Die Gespräche mit ihnen holen mich dann auch aus meiner Wirklichkeit, weil die schon ganz andere Lebensphasen hinter sich haben und bei mir geht es immer noch wie in der Skihauptschule ums schnelle Skifahren. Natürlich habe auch ich viel erlebt, aber man überlegt schon immer wieder, was danach kommen könnte.

Was sich nach Heimat anfühlt

Die Antwort?

Ich lasse mir da alles offen. So schläft man auch ruhiger.

Beim Abschalten hilft auch die Heimat und die dortige Abwesenheit hoher Berge. Als Skifahrerin sei sie den gesamten Winter in alpinen und hochalpinen Gegenden unterwegs, aber wenn sie nach Hause komme, warte dort „der perfekte Kontrast“.

Was ist das Schöne an der Weststeiermark?

Ich bin gerne in den Bergen, aber daheim kann ich abschalten, gerade weil ich sie nicht links und rechts habe. Natürlich muss ich länger zu Trainings anreisen. Aber das ist es mir auf alle Fälle wert. Mein Herz blüht auf, wenn ich in der West- oder Südsteiermark unterwegs bin. Andere fliegen nach dem letzten Rennen sofort weg, ich stelle meine Tasche in die Ecke und bin einfach einmal gerne daheim. Das fühlt sich nach Heimat an.

Aber wie ist es umgekehrt: Wenn man als Weststeirerin in Schladming in die Schule geht – wird man da „ernst genommen“?

Es ist schon oft kommuniziert worden: „Ihr da unten“ – und damit war alles östlich von Liezen gemeint. Mein stärkstes Gegenargument war aber immer, dass ich schnell beziehungsweise schneller war. Dafür braucht man keinen Arlberg vor der Haustüre.

Was braucht es?

Jedenfalls die Unterstützung der Eltern und dass sie auch ein bisschen Leidenschaft mitbringen fürs Skifahren.

Mein Herz blüht auf, wenn ich in der Weststeiermark unterwegs bin

Julia Scheib (27)

Dieses Skifahren, gerade auch der Weltcup mit den Gletscherrennen im Herbst, dem Pendeln zwischen Amerika und Europa, musste sich zuletzt kritische Fragen zum Thema Klimawandel gefallen lassen. Wie geht man damit um?

Du hast in einem Gebiet Skifahren gelernt, wo es laut Klimamodellen über kurz oder lang keinen Schnee mehr geben wird. Lässt dich das kalt?

Freilich wünsche ich mir, dass das, was ich als Kind machen durfte, auch für die nächsten Generationen möglich ist. Gerade in unserer Region fällt ja auf, dass es immer weniger Schnee gibt. Aber wir Skifahrer sind nicht exklusiv an der aktuellen Entwicklung schuld, wir sind aber die Sportart, wo man es am meisten sieht.

Hallenrennen sind keine Alternative?

Ich war ein paar Mal in Hallen trainieren. Aber Rennen? Nein, das hätte keinen Wert.

Wann starten die Intensivvorbereitungen für die kommende Saison?

Haben sie schon längst. Man glaubt, der Sommer ist eh so ewig lange. Ist er aber nicht. Er vergeht superschnell. Die Zeit zwischen den letzten Tagen im Schnee …

… die wann waren?

Ende März gab es Testtage mit der Skifirma. Seit damals trainiere ich weitgehend allein.

Ist das nicht langweilig? Fehlt nicht das direkte Kräftemessen mit den Kolleginnen als Motivationsboost?

Man braucht sich keine Sorgen zu machen, dass ich mich allein zu wenig quäle. Ich weiß ja, wofür ich es machen muss. Außerdem bin ich gerne allein und komme mit dieser Situation gut zurecht, weil ich ganz ruhig mein Ding machen kann. Abgesehen davon ist der August ohnehin schneller da, als man glaubt. Dann trifft man sich wieder mit dem Team und während des Winters sind wir ohnehin sehr lange auf einem Haufen.

Ganz klar Einzelsportlerin

In diesem Haufen sitzen die schärfsten Gegnerinnen bei einem Rennen. Siehst du dich als Mannschafts- oder Einzelsportlerin?

Ganz klar: Einzelsportlerin. Man ist allein am Start und hat es selbst in der Hand, was man daraus macht.

Funktionieren dann Teambewerbe, wie es sie immer wieder gibt?

Sie sind für mich ganz schwierig, weil es für uns Sportler nicht denselben Stellenwert hat wie ein Einzelbewerb. Man fühlt sich am Ende des Tages demnach auch nicht wie die große Gewinnerin. Im Grunde können wir Sportler bei einem Teambewerb nur verlieren. Wenn man eine Medaille gewinnt, hat Österreich halt wieder eine Medaille mehr, die aber insgesamt nicht die Wertigkeit einer Einzelmedaille hat. Und wenn man keine gewinnt, gehört man als Österreicherin ohnehin zu den Verliererinnen.

Wann beginnt es in der Vorbereitung „zu kribbeln“?

Erst vor den ersten Rennen. Da brauche ich ohnehin schon einmal einen ganzen Tag, bis ich nach der Sommerpause alles wieder beieinanderhabe.

Wie viele Skischuhe „verbrauchst“ du pro Winter?

Rund acht Paar.

Und Ski? Unzählbar?

Ja (lacht), da sind einige im Spiel.

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